conductio-princastell e.V.

Religion und Kirche, untrennbare Bestandteile des mittelalterlichen Lebens, sind auf den meisten Märkten weitgehend unter-repräsentiert - und wenn sie präsent sind, dann fast immer so, dass nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Denn zu beidem reicht es selten!

Auf dem letzten MA-Markt in Freisen traf ich einen "Priester", der im Gegensatz zu den wenigen, die ich sonst bisher getroffen hatte, sich wenigstens fast korrekt ausdrücken konnte. Dies lag daran, dass er evangelische Theologie studiert und bald Pfarrer wird. Ein anderer, den ich immer wieder mal treffe, ist Bruder Quadrokulus. Er verkauft seine Ablassbriefe mit einem Augenzwinkern und solidem Hintergrundwissen. Wirklich predigen oder gar einen ganzen Gottesdienst abhalten hörte und sah ich ihn nie. Wenn ich sonst einen anderen Mönch mit dem brüderlichen Gruß anspreche (heute heißt er katholischer Gruß), bekomme ich entweder ein Gestammel oder ein Grinsen oder auch eine Antwort wie "du mich auch". Passend dazu tragen diese "Darsteller" Turnschuhe oder Birkenstock-Verschnitt-Sandalen unter den Jeans, die unter dem Faschingskostüm heraus schauen.
Grundsätzlich besteht das Problem darin, dass wir als Menschen des 21. Jahrhunderts so weit säkularisiert sind und sein wollen, dass Kirche und Glaube nur noch ganz selten eine Anwendung in unserem Leben finden. Häufig sehe ich dies in den hilflosen Re-Aktionen bei Sterbefällen. Ganz anders war dies in den von uns dargestellten Zeiten.

Die Menschen trugen die Religion nicht (wie wir heutzutage) vor sich her, sondern hatten sie verinnerlicht. Dieses umzusetzen erfordert eine komplette Umstellung des unseres Verhaltens: Viele überlieferte mittelalterliche Vorgänge und Handlungen werden erst verständlich, wenn man sich das "religiöse Raster", also die zum untrennbaren Bestandteil des Welt- und Gedankenbildes gewordenen christlichen Ge- und Verbote und Verhaltensregeln, über die normale menschliche Mentalität denkt. Praktizierende Katholiken sollten weniger Probleme haben und alle anderen müssen sich schlau machen & lesen oder besagten Katholiken befragen. Als einer der neuralgischen Punkte sei der Skeptizismus genannt: Wir modernen Menschen wollen immer gegenargumentieren, hinterfragen und vor allem anzweifeln. Das ist hier unangebracht! Für die mittelalterlichen Menschen war die Existenz Gottes, seiner Heiligen und ihre ständige Gegenwart so gewiss wie für uns die Existenz der Elektrizität. Was nicht heißen soll, dass man die Kirche und ihre Lehren nicht hinterfragen durfte. Die Unfehlbarkeit des Papstes kam später und bezieht sich nur auf Glaubens- und Sittenfragen. Sie wurde unter Papst Pius IX. vom Ersten Vatikanischen Konzil 1870 verkündet. Man konnte ohne weiteres darüber diskutieren, ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe sei, was jedoch keine gebildete Person in der Geschichte des Westens glaubte, denn die Kugelgestalt der Erde war ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. stets die dominante Lehrmeinung. Aber man durfte nicht behaupteten, die Erde und ihre Geschöpfe seien nicht von Gott erschaffen worden. Und - was ich persönlich für gut halte ohne exzessiv Wert darauf zu legen - war es mehr als unhöflich sich beim Anblick eines Priesters oder eines Mönches nicht zu bekreuzigen, stehen zu bleiben und zu grüßen. Noch vor 100 Jahren konnte man in dörflich-ländlich geprägten Gegenden den Unwillen des Geistlichen auf sich ziehen - mit allen Konsequenzen!

Wir können und wollen das Rad der Zeit nicht zurück drehen, jedoch sollten wir genauer hinsehen wie die Menschen in der von uns dargestellten Zeiten tickten, um sie besser zu verkörpern.

Unser Verein hat sich in seiner Satzung darauf fest gelegt, historisches Brauchtum zu erhalten, neues Wissen darüber zu erwerben und weiter zugeben. Dabei spielt das Heranführen von Kindern und Jugendlichen an das Wissen über historische Gegebenheiten eine große Bedeutung. Hier setzt sich »conductio-princastell« e. V. ausdrücklich das Ziel, der Öffentlichkeit die kulturellen wie politischen Entwicklungen, mit Schwerpunkt der deutschen und europäischen Geschichte des Mittelalters (500 bis 1500 n. Chr.) bewusst werden zu lassen. Dabei ist von Bedeutung, dass »conductio-princastell« e. V. Raum für eine möglichst historisch belegbare Darstellung dieser Zeitspanne bietet, in welchem sich die Mitglieder, der "erlebbaren Geschichte" bzw. dem "Geschichte erleben" widmen können.

Grundsätzlich wird jeder einzelne von uns behaupten können, dass wir stetig bemüht sind, uns dahin gehend weiter zu bilden und zu entwickeln und dieses auch nach außen zu kommunizieren versuchen. In den Bereichen Handwerk, Kleidung, Utensilien, Waffen, Geschirr und Lagerausstattung sind wir (wenigstens in einer Epoche) schon ziemlich weit. In mentaler Hinsicht verharren wir immer noch fast komplett in der Neuzeit. Dies macht sich nicht nur in unsererem Umgang mit der Sprache bemerkbar ("OK! Das war jetzt echt cool und total super!"). Mehr noch ist es der Umgang mit unseren Mitmenschen und vor allem untereinander. Als eingefleischte Demokraten haben wir kein wirkliches Hierarchiedenken und erst recht keine Ahnung von richtigen Verhaltensformen gegenüber einer Obrigkeit. Und diese Obrigkeit war der Adel und/oder der Klerus.
Der zuständige Bischof war in der Regel nicht nur vermögend und allein dadurch einflussreich. Er war es auch, der die Tür in das Himmelreich versperren oder öffnen konnte. Selbst einen einfachen Mönch nicht höflich zu grüßen, konnte bedeuten, dass man dafür noch länger im Fegefeuer schmoren musste.

Etwas unübersichtlich wird die ganze Sache, wenn wir die beiden von uns dargestellten Zeiten jeweils betrachten. Denn dazwischen liegt der Investiturstreit; dessen Beginn mit dem Reichstag in Worms (1076) bis zur Kompromisslösung des Wormser Konkordates (1122). Kurz gesagt, war es vor der Beilegung dieses Streits normal, dass die weltlichen Herrscher Macht über ihre Kleriker ausübten, ihnen Ämter zuwiesen, Kirchen und Klöster finanzierten, aus Gottes Gnaden über sie herrschten und steuerten. Danach gab es eine wesentlich deutlichere Trennung zwischen weltlicher und katholischer Machtbefugnis, die nach Heinrichs Gang nach Canossa die Herrschaft Roms über die Feudalherren sehr deutlich zum Ausdruck brachte.

Scheinbar einfacher haben es die meisten Normannen in unserem Wikingerhaufen, die andererseits einer recht komplexen Götterwelt gerecht werden müssten (die alleine schon ein eigenes Thema verdient hat). Ein tumbes "Odin"-Gebrülle reicht dabei bei weitem nicht aus!
Und der Mönch ohne Priesterweihe unterliegt auch außerhalb der Klostermauern den Ordensregeln und seinen kirchlichen Vorgaben (die wieder ein ganz eigenes Thema sind).
Der Erzbischof von Trier war zwar formal auch zuständig für die Orte außerhalb der Stadtmauern, aber inwieweit dies im realen Leben Auswirkungen hatte steht auf einem ganz anderen Blatt. Für das Volk zu Berncastel und zu Cues war es weitgehend unerheblich, ob noch Radbod oder bereits Ruotger den Bischofsstab in Trier schwang. Wesentlich schwieriger einzuschätzen ist der tatsächliche Einfluss des regierenden Herzog von Lothringen. Richer, ein Mönch von Saint Remy, charakterisiert Giselbert von Lothringen wie folgt: Er ist kühn, unbeständig, verschwenderisch, gierig nach fremden Gut und streitsüchtig. Er redet doppelsinnig, er fragt verfänglich, er antwortet zweideutig, er stiftet oft und gern Verwirrung und Missgunst. Dieser Taktierer hatte sich auf die Seite von Heinrich I., König des Ostfrankenreiches, gestellt; ein Herrscher, der mehr genug mit den Ungarn und den Slawen im Osten und mit den Normannen im Norden des Reiches zu tun hat.

Somit gibt es einen noch näher zu definierenden Aktionsbereich, in dem sich unser Normannenhaufen bewegen kann/darf/soll/muss?! 882 waren Wikinger bis nach Prüm und Trier gefahren, hatten geplündert und gebrandschatzt. Dieser Einfall dürfte nachhaltig in Erinnerung bei den Menschen geblieben sein! Wie waren also die Reaktionen auf einen "weiteren Besuch" dieser Horden??